Karlsruhe – Veranstaltungen in Zeiten von Corona zu planen – das ist nicht ganz einfach. Für vier einfallsreiche badische Capoeira-Vereine war rasch klar: in diesem Jahr soll es ein gemeinsames hybrides Event geben. Am vergangenen Wochenende fand die erste deutschlandweite Online-Veranstaltung des internationalen Verbandes Abadá-Capoeira über die Video-Plattform Zoom statt, zu der auch hochrangige Gäste aus der Heimat der brasilianischen Kampfkunst zugeschaltet waren. Am Tag darauf wurde das Event unter strengen Hygiene-Vorschriften in Dossenheim und Karlsruhe im Freien fortgeführt. In einem bunten Mix aus Training, Performance, Show und Spiel konnten die Teilnehmenden Interessantes über die Kulturgeschichte der Capoeira erfahren.
Von Kordeln und Spitznamen – eine Capoeira-Batizado
Hauptereignis des Events war die sogenannte Batizado (portugiesisch für „Taufe“, aber ohne religiösen Bezug), bei der neue Capoeira-Schüler ihre Spitznamen erhalten. Der Spitzname wird von dem Trainer oder der Trainerin vergeben und basiert häufig auf charakteristischen Eigenschaften der Capoeiristas. Bei der Batizado erhalten die Teilnehmenden zudem ihre erste offizielle Kordel, die als Gürtel um die weiße Capoeira-Hose getragen wird. Die Kordelfarbe spiegelt die Graduierung der Capoeiristas wider, sie zeigt ihr Wissen und Können innerhalb der Kampfkunst.
Wie gelingt Capoeira in Zeiten von Corona?
Capoeira lebt vom internationalen Austausch. Aber eine Großveranstaltung mit Teilnehmenden aus ganz Deutschland und Gästen aus Brasilien? Das liest sich im Jahr 2021 wie eine Beschreibung aus einer weit entfernten Zeit. Verschieben, ausfallen lassen oder anpassen? Die Antwort auf diese Frage fand sich für die vier badischen Capoeira-Vereine aus Karlsruhe, Schwetzingen, Dossenheim und Heidelberg relativ schnell. „Capoeira macht in der Pandemie das, was sie schon immer getan hat – sie passt sich der Situation an. Sie ist flexibel und innovativ“, betont Lila Sax dos Santos Gomes, Capoeira-Trainerin, vielfache nationale und internationale Meisterin und Vorsitzende des Karlsruher Vereins. So hatten die ausrichtenden Vereine bereits im vergangenen Jahr viel Erfahrung mit Trainings, Veranstaltungen und Wettkämpfen in virtueller Form sammeln können.
„Improvisação, criatividade e adaptabilidade – Improvisation, Kreativität und Anpassungsfähigkeit. Diese drei Eigenschaften machen die Capoeira aus“, schallte die Übersetzung aus den Laptop- Lautsprechern der Teilnehmenden der Online-Veranstaltung. Eigenschaften, die auch unabhängig von Capoeira in Pandemie-Zeiten hilfreich erscheinen. „Capoeira ist nicht an einen bestimmten Ort gebunden. Man muss nicht in einer Sporthalle trainieren – das geht auch im eignen Wohnzimmer oder draußen, wenn ich unterwegs bin. Man muss nur ein bisschen kreativ sein.“ Die Worte stammen von José Tadeu Carneiro Cardoso (Mestre Camisa), Capoeira-Großmeister, Gründer und Vorsitzender der internationalen Vereinigung Abadá-Capoeira, der das Event von Brasilien aus als Schirmherr leitete und dazu live zugeschaltet war. Im Video-Hintergrund konnte man sehen, dass es noch dunkel war – das Event startete für den Capoeira-Meister um 6 Uhr morgens. Dass Capoeira auch ganz flexibel von zu Hause aus trainiert werden kann, konnten die Teilnehmenden in mehreren schweißtreibenden Trainingseinheiten vor ihren Bildschirmen beweisen.
Afrobrasilianische Kultur
Die brasilianische Kampfkunst Capoeira wurde ursprünglich von Versklavten entwickelt, die aus verschiedenen Regionen Afrikas stammten. Der als Tanz getarnte Kampf half den versklavten Bevölkerungsgruppen, ihrem tristen Alltag für einige Minuten zu entfliehen – und sich gegen ihre Aufseher zur Wehr zu setzen.
Die afrikanischen Wurzeln der Capoeira wurden beim Event näher beleuchtet. In einer Tanz- Performance gab der Capoeira-Professor Cabuenha, bürgerlich Júlio Janguinda Moniz, Einblicke in die kulturelle Vielfalt der verschiedenen afrikanischen Völker und vermittelte auf künstlerische Weise Kenntnisse über die Wurzeln afrikanischer Tänze und Kampfkünste, zu denen eben auch Capoeira zählt. In einer anschließenden Fragerunde konnten die von zu Hause zugeschalteten Teilnehmenden ihre Fragen an die beiden Interviewpartner stellen. „Welches Element aus der afrikanischen Kultur hat die Capoeira am meisten beeinflusst?“, lautete eine Frage. Die Antwort kam prompt – es ist die Berimbau, das wohl auffälligste Musikinstrument in der Capoeira.
Ein afrikanischer Musikbogen gibt den Takt an
Dass die Musik einen großen Teil der Capoeira ausmacht, konnte interessiertes Publikum am Sonntag in der Günther-Klotz-Anlage nicht überhören. Die große Röhrentrommel (Atabaque) war schon in weiter Entfernung auszumachen und gab den rhythmischen Takt vor, zu dem die Capoeiristas ihr Spiel miteinander aufbauten. Begleitet wurde das Spiel zudem mit zwei Tamburinen (Pandeiros) und der bereits erwähnten Berimbau. Das Instrument mit dem blechernen und zum Teil scheppernden Klang besteht aus einem einsaitigen Musikbogen und stammt ursprünglich aus Nord-Afrika. Solche Musikbögen gelten als die ältesten Saiteninstrumente der Welt. In Präsenz und mit dieser musikalischen Unterstützung wurden die am Vortag angekündigten Kordeln an die stolzen Teilnehmenden verliehen.
„Ich bin sehr glücklich, dass sowohl das Online-Event als auch das Präsenztraining einwandfrei funktioniert haben und bei allen Leuten so gut angekommen sind. Wir hätten das Event zwar auch bei Regen und Hagel unter der Überdachung durchgeführt, aber der strahlende Sonnenschein hat doch noch zusätzlich geholfen. Ich freue mich schon auf das nächste Mal“, grinst Luiz Carlos dos Santos Gomes Sobrinho, Mitgründer und Trainer des Vereins Capoeira Karlsruhe, der das Event gemeinsam mit den Vereinen aus Schwetzingen, Dossenheim und Heidelberg organisiert hat.
Die Capoeira-Vereine bieten Training für Kinder, Jugendliche und Erwachsene an. Weitere Informationen gibt es unter: https://capoeira-karlsruhe.de, https://capoeira-schwetzingen.de/, https://www.capoeira-hd.com/