Für den deutschen Mittelstand gibt es viel darüber zu lesen, wie man zu guten Geschäftsführenden wird. Welche Aufgaben zu erfüllen sind als gute Mitarbeitende, Ehefrau, Ehemann, Zahnarzt, Patient oder aber als Gastgeber wurde auch schon vielfach beschrieben.
Ähnlich viele Normen und Regeln kursieren, um bei jemandem ein guter Besuch zu sein. Doch wo die Etikette unerfreulich undefiniert ist, ist bei den Gästen in der Gastronomie.
Generell lohnt sich ein Blick auf die Anbietenden-Nachfragenden-Beziehung in der Dienstleistungsbranche. Hat sich jemand zuhause ausgesperrt und ruft den Schlüsseldienst, so ist die Person in Not klar auf den Dienst des Anbietenden angewiesen. Sie verhält sich höflich, dankbar und rechtfertigend. Geht jemand zu einem Berater oder einer Beraterin bei der Bank, um eine große Summe Geld abzuheben, so verhält sich auch diese Person zuvorkommend, seriös und diskret. Die Bankangestellten mache einfach ihren Job. Wenn beim Bau eines neuen Hauses die Frage nach dem richtigen Bodenbelag aufkommt, verhalten sich potenzielle Käufer und Käuferinnen im Beratungsgespräch mit einem Handwerkerbetrieb aufgeschlossen, gesittet und wohlwollend.
Sind Sie „salonfähig“?
Beim Besuch in einem Friseursalon beschreiben andere Adjektive die Stimmung zwischen Dienstleistenden und Kundschaft. Es kann beispielsweise entspannt oder ungehemmt, offenkundig, gesprächig oder fast freundschaftlich zugehen. Möglich ist aber auch die umgekehrte Seite. Dabei wird durch Kommunikationsweisen die funktionale Rolle der Anbietenden und deren Inanspruchnahme durch die Zahlenden klar aufgezeigt. Das Gleiche lässt sich häufig in gastronomischen Settings beobachten. Gäste in einem Restaurant können den Serviceangestellten entweder dankbar, sympathisch und unkompliziert entgegentreten. Andererseits machen einige deutlich, dass sie lediglich gekommen sind, um eine Dienstleistung zu empfangen für die sie schließlich auch zahlen werden. Die Kommunikation zwischen den beiden Parteien kann dann streng, reserviert oder abgekühlt wirken.
In allen genannten Beispielen kommt es zu einem sprachlichen Austausch zwischen Anbietenden und Nachfragenden in der Dienstleistungsbranche. Die Situationen haben gemeinsam, dass es immer jemanden gibt, der konkreten Bedarf an etwas hat und eine andere Person, die diesen Bedarf decken kann. Und doch macht es den Anschein, als würden Menschen eine Unterscheidung vornehmen zwischen den verschiedenen Dienstleistungsbereichen. Das spiegelt sich zumindest in der Etikette wider.
Das eine oder andere Extrem
Die Verhaltensformen von Gästen divergieren. Grenzen können verschwimmen zugunsten der Annäherung. Den Kellner zu duzen, ihn in ein Gespräch zu verwickeln oder nach etwas speziellem zu fragen, kann in manchen Fällen sympathisch wirken. Allerdings nur, sofern die Dienstleistenden das möchten. Genauso kann ihnen eine klare Linie zwischen Gast und Angestelltem lieber sein, weil sie sich in dieser Rollenverteilung sicherer fühlen und das Gefühl bekommen, dass ihre Professionalität respektiert und nicht privatisiert wird. In umgekehrten Fällen verstärken sich die Grenzen. Dadurch wird das Verhältnis zwischen den beiden Akteuren entmenschlicht und auf die funktionale Zweckerfüllung heruntergebrochen. Auch hierbei geht Respekt verloren, nämlich der vor dem Individuum. Es geht also entweder in das eine oder andere Extrem.
Die Macht des Gegenübers erkennen und wertschätzen
Der Strukturalist und Psychologe Michel Foucault erklärte Ende der 60er Jahre, wie solche menschlichen Beziehungen im Diskurs funktionieren. Dabei stellte er zunächst klar, dass es immer und überall, wenn Menschen aufeinandertreffen, ein Machtverhältnis gibt. Denn Wissen ist Macht und irgendjemand weiß immer mehr als man selbst. Dementsprechend ist Macht nichts Schlimmes, aber es hilft, sich ihr bewusst zu sein. Wenn ein Paar für den neuen Fußboden zum Parkettlegemeister geht, tut es das, weil er mehr über das Thema weiß. Sie wollen von seinem Wissen Gebrauch machen und schätzen ihn dafür. In dieser Situation schauen sie zu ihm auf. Dienstleister und Kunden sind also nicht auf Augenhöhe. Das heißt aber nicht, dass der Parkettlegemeister diese übergeordnete Position und die Unwissenheit seiner Kunden ausnutzen darf. Würde er das tun, zum Beispiel mit einem unfairen Preisvorschlag oder Vorspiegelung falscher Tatsachen, spräche man laut Foucault von Gewalt. Macht ist also erst dann schlecht, wenn sie in Gewalt umschlägt. Solange wir aber aus dem Machtverhältnis profitieren und anerkennen, dass jemand uns in einem Punkt überlegen ist, können wir die Person dafür wertschätzen. Das ist gut für das beiderseitige, menschliche Verhältnis.
Angestellte in der Gastronomie erfüllen unsere Grundbedürfnisse
Dasselbe trifft auf den Kellner, Barkeeper oder Koch zu. Leider wird im Diskurs mit diesen Dienstleistenden die Macht und dadurch die Wertschätzung oftmals vergessen. Und das, obwohl wir die Gastronomie viel öfter brauchen und besuchen als die Spezialisten aus den anderen Beispielen. Das sollten wir nicht vergessen, sondern priorisieren. Schließlich ist dieser Bedarf immer da, was seine Deckung nicht weniger besonders, sondern besonders macht. Zudem haben viele Mittelständler schon einmal im gastronomischen Bereich gearbeitet oder kennen jemanden, der das tut. Aus persönlicher Erfahrung könnte Empathie mit den Beschäftigten in gastronomischen Betrieben eigentlich leichtfallen.
Soziabilität statt Krone
Dadurch, dass die Belegschaft im Restaurant, im Café oder in der Bar Zugang zu den internen Prozessen der Gaststätte hat, haben sie mehr Wissen darüber und sitzen dementsprechend am längeren Hebel. Schließlich wollen die Gäste ihre Nachfrage von ihnen erfüllt haben. Trotzdem verhalten sich viele Gäste gegensätzlich – doch wer garantiert ihnen, dass sie trotzdem bekommen, was sie wollen?
Es benötigt viel Kraft und Authentizität um vorhandene Denkweisen zum Positiven ändern wollen. Dafür benötigen wir mehr Vorreiter statt Mitläufer. Ben Bantschow von der Firma Gastro-Mission setzt sich stark dafür ein, dass vor allem junge Angestellte in gastronomischen Betrieben wieder stolz auf ihren Beruf sind.
„Das hängt auch mit einer angemessenen Bezahlung zusammen.“
meint der Gründer und Familienvater.
„Wenn wir Gastronomen endlich verstanden haben, dass wir selbstbewusst für unsere Dienstleistungen und Produkte angemessene und wertschätzende Preise nehmen können und müssen, dann können wir auch wertschätzende Gehälter für tolle und ambitionierte Menschen zahlen.“
Darin mag ein Schlüssel zu mehr Anerkennung liegen. Wenn das Personal selbstbewusst seinen Wert kennt und diesen auch anhand einer entsprechenden Bezahlung festmachen kann, strahlt es Stolz auch nach außen hin aus. Womöglich würde ihnen dann weniger oft professionelles Wissen abgesprochen werden und mehr Wertschätzung zukommen. Das kann aber nicht die alleinige Lösung sein. Es besteht auch Handlungsbedarf auf Seiten der Gäste. Im Sinne eines respektvollen menschlichen Miteinanders sollten Beschäftigte in der Gastronomie für ihre unverzichtbare Arbeit geschätzt werden – unabhängig davon, wie es um ihr Gehalt steht.