Die Europäische Zentralbank macht Frankfurt zu einem Finanzstandort mit weltweiter Ausstrahlung

Frankfurt, Stadt des Euro

Eurozeichen vor der EZB

Frankfurt am Main – Die Ansiedlung der EZB in den 1990er Jahren war ein Trumpf, der Bau der Doppeltürme im Ostend ist ein Bekenntnis. Ein Bekenntnis zu Frankfurt, das sich in den vergangenen Jahren zum Zentrum der Bankenbranche sowie der Aufsichts- und Regulierungsbehörden entwickelt hat.

Von den 193 Banken in Frankfurt sind drei Viertel ausländische Institute. Ihre Zahl ist entgegen dem europäischen Trend über die Krisenjahre hinweg fast unverändert geblieben und steigt aktuell wieder leicht an. Ein Drittel des Frankfurter Gewerbesteueraufkommens wird von der Finanzwirtschaft aufgebracht. 74.000 Beschäftigte arbeiten am Finanzplatz. Das sind 20.000 mehr, als in die Commerzbank-Arena passen. Ihr aller Wohlergehen hängt auch an der Europäischen Zentralbank. Ulrike Bischoff, Autorin der jährlichen Finanzplatz-Studie der Helaba Landesbank Hessen-Thüringen, glaubt, dass die Entscheidung in den 1990er-Jahren, die EZB in Frankfurt anzusiedeln, den Finanzplatz entscheidend aufgewertet und langfristig zu seiner Internationalisierung beigetragen hat.

„Frankfurts Anziehungskraft auf Finanzakteure und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland wurde nachhaltig gestärkt. Viele wollen nahe der geldpolitischen Instanz Europas präsent sein.“

Bekennen

Wenn schon die Entscheidung in den 1990ern für Frankfurt ein langfristiger Trumpf war, was war dann die 1,3 Milliarden-Investition der EZB in die neuen Doppeltürme im Ostend? „Hinter der ersten Entscheidung damals stand immer noch das Fragezeichen der Vorläufigkeit. Der Neubau kommt nun einem gewaltigen Bekenntnis zum Standort gleich. Die Ausstrahlung ist weltweit“, sagt Lutz Raettig, Aufsichtsratsvorsitzender der US-amerikanischen Morgan Stanley Bank. Als politisch engagierter Finanzfachmann – überregional auch als „Mister Finanzplatz“ bekannt – vereint Raettig beide Seiten in sich: Bankenbranche und Stadt. Er ist Sprecher im Präsidium der Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance, in der sich Banken, Stadt und Wissenschaft regelmäßig austauschen. Außerdem ist er für die CDU ehrenamtliches Mitglied im Magistrat.

Die Internationalität, die die EZB nach Frankfurt bringe, habe er kürzlich in dieser Funktion bei einer Rede vor Schülern der Europäischen Schule in Preungesheim erleben können, erzählt er.

„Da wurde eine solche Vielfalt, so viel Ausstrahlung und Begeisterung spürbar, dass ich mich innerlich richtig gefreut habe für Frankfurt. Ich habe gedacht: Toll, dass wir solche Menschen für unsere Stadt gewinnen können. Davon profitiert auch unsere Kultur.“

Wachsen

Viele der Schüler in Preungesheim sind Kinder von neuen Mitarbeitern der EZB. Die Zentralbank hatte ihren Personalstamm seit der Gründung bereits von 500 auf 1.800 vergrößert. Jetzt kommen nochmal 1.000 hinzu, von denen die ersten im November 2014 ihre Tätigkeit aufgenommen haben. Das Wachstum beruht auf einer Entscheidung der EU-Mitgliedsstaaten aus dem Jahr 2012, nicht nur die Geldpolitik, sondern auch die Aufsicht für die 130 wichtigsten Banken des Euro-Raums auf die europäische Ebene zu transferieren und sie der EZB anzuvertrauen. Auf neue Krisen soll so früher reagiert werden können. Außerdem sollen die neuen Mitarbeiter einheitliche Rahmenbedingungen für den Finanzsektor erarbeiten. Weil am neuen Stammsitz im Ostend nicht genug Platz für alle ist, kommen die neuen Mitarbeiter im früheren EZB-Turm am Willy-Brandt-Platz unter.

Vernetzen

Experten glauben, dass ausgerechnet die neuen Aufseher der EZB den Finanzplatz im Ausland noch attraktiver machen, heißt: weitere Banken nach Frankfurt locken. Nah dran zu sein an den relevanten Entscheidungsprozessen und „en passant“ Kontakte pflegen zu können, erhöhe für Finanzinstitute den Anreiz, dort präsent zu sein, schreibt Bischoff von der Helaba. Sie wertet daher auch diese Ansiedlung als Grundsatzentscheidung mit Signalcharakter. Frankfurt entwickle sich immer mehr zu einem Zentrum der Aufsichts- und Regulierungsbehörden.

In der Mainmetropole ansässig sind bisher: die Bundesbank, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (Bafin), die Bundesanstalt für Finanzmarktstabilisierung (FMSA), die Börsenaufsicht des Landes Hessen, die Europäische Versicherungsaufsicht EIOPA und das European Systematic Risk Board (ESRB) der EZB, eine Art Überwachungsinstanz auf der Makroebene. In der täglichen Arbeit dieser Behörden sind theoretisch Überschneidungen denkbar, weil einige auf nationaler, andere auf europäischer Ebene dieselben Themen bearbeiten. Sicherlich seien in den nächsten Jahren da noch Synergien zu heben, glaubt Bischoff.

Verschärfen

Da aktuell aber erst mal personell aufgerüstet werden muss, verschärft sich der Wettbewerb um die besten Köpfe, schreibt Bischoff. Die EZB werde gar nicht umhin kommen, auf Kompetenzen aus den nationalen Aufsichtsbehörden zurück zu greifen. Auch Experten aus der privaten Bankwirtschaft könnten für die EZB interessant sein, um deren Erfahrungen für die andere Seite zu nutzen. Die Zentralbank bezahlt gut: 100.000 Euro im Jahr bekämen Experten geboten. Zudem zahlen EU-Mitarbeiter weniger Steuern.

Raettig glaubt nicht, dass es deswegen böses Blut unter den Akteuren gibt. Er freut sich vielmehr über den Wettbewerb.

„Das bringt auch einen weiteren Leistungsschub für Frankfurt. Keine Bank wird es sich leisten können, schlechte Leute zu schicken. Und gute Leute werden gerne kommen, denn hier kann man etwas werden.“

Da gelte in der Finanzbranche der Grundsatz: „You go where the action is.“

Verbinden

Anja Obermann, Leiterin der Frankfurter Wirtschaftsförderung, verweist auf die Bildungslandschaft in Frankfurt. Mit dem House of Finance an der Goethe-Universität und der privaten Frankfurt School of Finance and Management gebe es exzellente Kaderschmieden für die Personalgewinnung. Dort habe man sich inzwischen auf die gewachsene Nachfrage für die Themen Regulierung und Aufsicht eingestellt und dafür zum Beispiel neue Lehrstühle eingerichtet.

Die Verbindungen zwischen der Ausbildungslandschaft und dem Finanzplatz sind bereits sehr eng. Jan Pieter Krahnen, Professor für Kreditwirtschaft und Finanzierung an der Goethe-Universität sowie Direktor des Center for Financial Studies, erarbeitete zwischen 2008 und 2011 als Teil der Expertengruppe im Auftrag der Bundesregierung Vorschläge für eine neue Finanzmarktarchitektur. 2012 wurde er als einziger Deutscher von der EU-Kommission in eine Expertengruppe zur Neuordnung des europäischen Bankensektors berufen. Mit Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie am Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS) im House of Finance, hat es ein weiterer Frankfurter Wissenschaftler bis in höchste Beratergremien geschafft: Er berät seit 2013 als Wirtschaftsweiser die Bundesregierung.

Werben

Neben der Fachkräfte-Thematik sei die Stadt auch immer wieder in Sachen Willkommenskultur gefragt, erklärt Obermann.

„Die Menschen wollen in Frankfurt ja nicht nur arbeiten.“

Man habe deshalb für die neuen Mitarbeiter der Bankenaufsicht Stadtführungen veranstaltet, die sehr gut angenommen worden seien. Auch Obermann hofft, weitere Banken an den Main locken zu können. Britisches Pfund und Schweizer Franken seien im Vergleich zum Euro sehr teuer.

„Das Label 'City of the Euro' ist ein Alleinstellungsmerkmal, mit dem wir international werben können. Die Buchstaben EZB stehen für ein Finanzzentrum mit Weltrang. Vor allem im Ausland. Und heute mehr denn je.“

Raettig sieht die Zukunft des Finanzplatzes ebenfalls sehr positiv. Die EZB hat daran einen wichtigen Anteil.

„Ein Tag der offenen Tür zur Eröffnung wäre schön gewesen“, bedauert er. „Aber vielleicht kommt sowas ja später irgendwann.“

Die EZB verzichtet auf eine große Eröffnungsfeier. In den letzten Wochen hat sich die Diskussion um eine Kreditvergabe an das hochverschuldete Griechenland und die Kontrolle der Sparvorgaben vor Ort durch die EZB erneut zugespitzt. Zudem hat das internationale Blockupy-Bündnis für den Eröffnungstermin am 18. März eine internationale Demonstration mit 10.000 Teilnehmern angekündigt. Das alles verdeutlicht, wie sehr die EZB in der Krisenbewältigung steckt. Über die Art und Weise wird gerade intensiv gestritten. Die Antwort auf die Frage, wer Recht hat, steht noch aus.

Die Europäische Zentralbank (EZB) ist die gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und bildet mit den nationalen Zentralbanken (NZB) der EU-Staaten das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Gemeinsame Aufgabe ist die Überwachung des Bankensystems und die Regulierung der Geldmenge in den Volkswirtschaften. Hauptziel ist dabei die Preisniveaustabilität. Außerdem eine ausgeglichene konjunkturelle Entwicklung in den Mitgliedsstaaten. Um diese zu unterstützen hat die EZB die Möglichkeit, mit dem Leitzins den Preis für geliehenes Geld zu erhöhen oder zu senken. Soweit dies ohne Beeinträchtigung dieses Ziels möglich ist, unterstützt das ESZB die Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union, die sich zu einem hohen Beschäftigungsniveau und dauerhaftem Wachstum verpflichtet hat.